„Entdecken, was uns verbindet“ – Panzer auf in Seelow

Seit einem Vierteljahrhundert gibt es den bundesweiten Tag des offenen Denkmals. Es geht darum, in diesem Tag Orte öffentlich zugänglich zu machen, die ansonsten verschlossen sind. Die Gedenkstätte/Museum Seelower Höhen existiert schon mehr als ein Vierteljahrhundert in der offenen Gesellschaft. Ein Anlass für Zeitreise Seelower Höhen e.V., auch hier etwas zu öffnen.

Das Wetter ist, wie es an einem Sonntag sein soll und die Gedenkstätte/Museum präsentiert sich anders als gewohnt, einladender, offener. Viele Besucher halten spontan an, weil das Areal ein anderes Bild bietet. Die Besucher kommen aus Seelow, aus dem Oderland und von weiter her. Alle Altersgruppen sind dabei. Immer wieder sind es junge Menschen, Familien mit kleinen und mit nicht ganz so kleinen Kindern. Es sind die Generationen, für die Geschichte vor allem eines ist: ein weit entferntes Geschehen. Es gilt, vor allem ihnen Möglichkeiten zu geben, sich dieser Geschichte nähern zu können und zu wollen. Am Ende werden es 600 Menschen sein, die unser Angebot an diesem Sonntag in die Gedenkstätte lockt. So viele Menschen aus völlig freien Stücken an diesem Ort. Das gab es hier noch nie. Dafür sollen Museen da sein.

Familienausflug in die Vergangenheit

Es ist der Sonntag nach dem Seelower Stadtfest, eigentlich die Zeit zum Ausruhen. Doch Ausruhen mag selbst Seelows Bürgermeister Jörg Schröder nicht und kommt gleich zwei mal vorbei. Er kennt die Gedenkstätte wie die meisten Menschen der Region eben auch nur anders als heute und er freut sich über die Veränderung. An Ausruhen denken auch nicht die zahlreichen Berliner, die extra für das ganz besondere offene Denkmal anreisen. Dabei kommen sie aus einer Metropole, die am Tag des offenen Denkmals eine endlose Liste lohnenswerter Ziele bietet. So macht ein Berlin-Besucher aus Jena extra für den offenen Panzer einen Abstecher nach Seelow. Für uns heißt das: Geschichte richtig vermittelt, zieht die Menschen an. Auch über Entfernungen und auch in einen Ort, in dem so manches Mal augenzwinkernd „Zicken-Seelow“ fällt, um eine Erklärung für schwächelnde Anziehungskraft zu geben.

 

Anstehen an der Zeitkapsel

Und nun, hier? Schlange stehen am T34! Sie warten, geduldig, manchmal mehr als ein halbe Stunde lang, um ihren ganz persönlichen Eindruck von und mit der Geschichte zu gewinnen. Sie entdecken tatsächlich, was uns verbindet. Treffender hätte das Motto des diesjährigen Tages des offenen Denkmals nicht sein können. Die Gedenkstätte/Museum Seelower Höhen verbindet die Menschen des Oderlandes seit Jahrzehnten, im Guten wie im Schlechten. Manche Verbindungen sind eng, andere sind lose. Wieder andere sind klar negativ besetzt, mit guten Gründen. Kaum einer, der hier lebt und der nicht den Ort mit dem Denkmal, dem Friedhof, die Freifläche mit den zur Schau gestellten Waffen kennt. Selbst wenn es nur vom täglichen Vorbeifahren ist. Und jeder kennt das neben der Bronzefigur größte Exponat des Areals, den T34, nur als verschlossenes Ungetüm einer ungetümen Erinnerungskultur zu DDR-Zeiten. „Wir mussten dahin. Und der war immer verschlossen.“ Das hören wir oft, wenn wir im Vorfeld über unser Vorhaben sprechen. Ob Postfrau oder beim Bäcker, ob im Baumarkt oder an der Tankstelle; es ist die gleich lautende Botschaft des Blicks auf diesen Ort: eine verschlossene Historie. Der zugebruzelte T34 steht symbolhaft für das gesamte Geschichtswerk, das sich Besuchern in der Küstriner Straße bot und bietet.

Geschichte berühr- und erfahrbar

Dank unserer denkmalpflegerischen Maßnahmen ist der Panzerinnenraum mittlerweile schön trocken. Er ist frei von dem Dreck und dem Mief der in jahrzehntelanger Gleichgültigkeit kultivierten Tropfsteinhöhle. Für fachkundige Erklärungen steht der Trebnitzer Peter Buch stundenlang geduldig am Turm des sowjetischen Kampfwagens. Die Füße balancieren auf den massiven Haltegriffen der Wannenflanken. Der Mann weiß, wovon er redet. Zu DDR-Zeiten war er Panzeroffizier, hat zunächst einen Zug und dann – als jüngster Offizier seines Regiments ­ – eine Panzerkompanie geführt. Sogar mit dem Antik-Modell T34 hat er damals zu tun. Daher kennt er dessen Innereien ganz genau – ebenso wie das Leben in einem Panzer, der schon in Friedenszeiten ein ungesunder, gefährlicher Arbeitsplatz ist. Dass er diese Botschaft gern auch in Englisch vermittelt, begeistert einen Mexikaner, der ebenfalls extra aus Berlin angereist ist. Die Herausforderung für das Panzer-Publikum beginnt mit dem Reinklettern. Was eine einstige Ballett-Tänzerin mit graziösen Bewegungen vollführt, was für die Mädels und Jungs einer Freiwilligen Feuerwehr, aus der Prignitz zu Gast in Seelow, keine große, aber doch ein Herausforderung ist, das bedarf für die meisten einer kurzen Einweisung. Die Füße dorthin, die Hände da; und dann mit dem Po in die Tiefe rutschen. Unweigerlich kommt die Frage auf: „Wie haben die das nur früher gemacht, wo das alles viel schneller gehen musste?!?“ Wer in den Bauch des stählernen Riesen gleitet, dem drängen sich noch viele andere Fragen auf, zu Strapazen, zu Leid, zum Krieg und was er mit den Menschen macht. Das Leben in einem Panzer ist ein Überleben – selten ohne, vor allem seelische Narben. Oder es endet in einem qualvollen Sterben. Diese Fragen stellt sich, wer nur neben einem Museumspanzer stehen darf, ohne die Chance, ihm näher zu kommen, vielleicht nie. Wenn doch, dann mit einer viel geringeren Intensität. Von den Antworten ganz zu schweigen.

 

Zeuge der Zeit zu Gast

Einer unter den Gästen fällt auf. Der alte Herr ist sehr sorgsam gekleidet. Dunkle Hose und Jackett, Hemd, Weste. Ihm ist anzusehen, dass sein Besuch für ihn etwas besonderes ist. Für uns ist es das erst recht. Ein Freund unseres Vereins nimmt Wolf-Dietrich Kroll an diesem Tag von Berlin mit nach Seelow. Den Veteranen der 9. Fallschirmjägerdivision hat es einige Überwindung gekostet, sich auf den Weg zu machen. Er fährt nicht nur nach Seelow. Er fährt in die dunkelsten Stunden seines Lebens. Es wühlt ihn sichtlich auf, hier zu sein: „Eigentlich hatte ich mit Seelow abgeschlossen.“ Bewegt und bewegend erzählt er Besuchern von seinen Erlebnissen. Das Erinnern rührt ihn zu Tränen. Er verbirgt sie nicht. Diese Tränen erzählen den Umstehenden mehr als das, was ein Mensch sprechend über den Krieg erzählen kann. Viele Stunden ist der alte Herr hier, bleibt länger als er vorhatte. Warum? Es beeindruckt ihn zutiefst, wie viele junge Menschen sich für die Geschichte interessieren, wie sie sich offen, wissensdurstig und mit Freude am ‚Erlebnis Vergangenheit‘ dem zuwenden, von dem seine Generation oft glauben musste, es allein mit sich verarbeiten zu können und zu müssen.

 

 

Perspektiven wechseln

Die andere Seite des Panzeruniversums beleuchtet Vereinsmitglied und Geschichtsspezialist André Vogel mit seinem Kollegen Thomas Rösch. An zahlreichen Originalexponaten zeigen sie, was die deutsche Soldaten damals gegen die sowjetischen Panzer unternehmen. Es sind nahezu selbstmörderische Aktionen mit feldmäßigen, improvisierten Mitteln. So ist an dem allseits bekannten 20-Liter-Kraftstoffkanister mit Draht eine Nebelgranate festgerödelt. Das mit Benzin und Flammöl befüllte, sperrige Trumm soll der „Panzer-Nahbekämpfer“ auf das Heck des gegnerischen Panzers wuchten. Hat er den Auslöser der Granate gezogen, bleiben ihm dafür vier Sekunden Zeit, inklusive des In-Deckung-Springens. Haftladungen, Minen, Hohlladungen mit Raketenantrieb sind die ausgeklügelteren Werkzeuge des ungleichen Kampfes, den ein deutscher Lehrfilm zum Duell „Männer gegen Panzer“ erklärt wie verklärt.

Das Repertoire, einen Panzer zu „knacken“ ist so ausgeklügelt, wie der Panzer selbst. Es ist eine endlose Geschichte des Baus von Vernichtungsgerätschaften, kleine gegen große und umgekehrt. Je nachdem, wer welche Mittel zur Verfügung hat. Jede waffentechnische Novität ruft nolens volens ihre Negation auf den Plan. „Jeder Panzer hat seine Pak.“ All dies mal real zu sehen, ist aufschlussreicher, als es ein Buch oder Film vermitteln könnten. So liegen hinter dem T34 auch die passenden Granatpatronen in ihrer hölzernen Transportkiste – wie sorgsam drapierte Kunstobjekte. Jede ist 14 Kilo schwer. Die Messinghülsen glänzen mit den in warmem Grau lackierten Köpfen und den kupfernen Dichtungsringen um die Wette – formvollendete, präzisionsgefertigte Todbringer. Sie machen die nachdenkenswerte Ambivalenz so mancher Kriegstechnik deutlich: vieles wirkt geradezu ästhetisch und übt oftmals Faszination auf die Betrachter aus. Isoliert besehen, könnte diese Faszination zum Selbstwert mutieren. Doch gleich nebenan, im Panzer, löst sich das Schmuckbild auf in der Realität des Kampfes. Der Ladeschütze eines T34 wuchtet damals die Granatpatronen im Akkord in die Kanone. An seiner Position stehen hier auch die Panzer-Besucher. Sie erfassen, was dieser Mensch leisten musste und, unter welchen Bedingungen. Der Abschuss löst jegliche Anmut des Objektes auf in der Wirklichkeit von Tod und Verderben.

 

Freizeiterlebnis Geschichte

Knallharte Kriegsgeschichte neben Kaffee, Kuchen und Imbiss bei schönstem Sonnenschein. Geht das? Ja, denn der Frieden ist unsere Realität, genau so wie damals der Krieg Realität ist. Wir haben Frieden und beschäftigen uns mit dem Krieg. Immerhin. Jeder hier könnte sonntags durchaus etwas anderes machen und so tun, als hätte es all das nie gegeben. Müssen wir daneben auf die normalen Annehmlichkeiten eines Sonntags verzichten? Nein, im Gegenteil. Gutes Essen und ein Getränk vertreiben die Wartezeit am Panzer, laden zum Verweilen ein. Wer länger da ist, entdeckt mehr – und kommt mit anderen ins Gespräch. Gedenkstätten und Museen sind Orte des Begegnens und das geht eben auch ohne bildungspolitisches Organisieren. Franco Kaiser, der Inhaber des Event – Gasthofs Zum Heiratsmarkt in Reitwein, ist persönlich da und sorgt mit gleich drei Mitarbeitern, familienfreundlichen Preisen und einem reichhaltigen Angebot ebenfalls dafür, dass der Besuch neben dem kulturellen auch ein kulinarischer Ausflug wird. Der Chef und seine Mitarbeiter zeigen sich als Vollprofis der Erlebnisgastronomie, die mühelos auch anderswo als an ihrem Stammsitz beste Qualität bieten. Für unseren Verein ist er seit Jahren ein fester Partner, wenn es darum geht, Geschichte anspruchsvoll an die Besucher zu bringen und ihren Aufenthalt im Oderland angenehm zu gestalten.

Wer Geschichtswissen zum Nachlesen mit nach Hause nehmen möchte, der stöbert auf dem Büchertisch der Gedenkstätte. Wer Ruhe vor oder nach dem Ausflug in den Bauch des Stahlkoloss braucht, entspannt bei Kaffee und selbstgebackenem Kuchen von Vereinsmitgliedern, deren Freunden und Helfern. Das macht den Krieg sicher nicht schöner als er war. Es macht jedoch den Zugang zu dem, was über 70 Jahre her ist, bedeutend leichter. Denn den damaligen Wahnsinn irgendwie zu begreifen, ist schon schwer genug.

Text: Tobias Voigt