Flagge-Zeigen mal anders
oder das Märchen von den anstößigen Steinen
Die Gedenkstätte Seelower Höhen rauscht gegenwärtig mächtig durch den Blätterwald.
Und wieder mal rotiert sie dabei, wie meistens, nur um sich selbst und nicht um das ihr zugrunde liegende Ereignis. Angesichts der jüngsten Mediokritäten verkommt die größte Schlacht auf deutschem Boden am Ende des Zweiten Weltkrieges geradewegs zur Marginalie. Diesmal erregt ein schmaler, kurzer Weg, der von einer monumentalplastischen sowjetischen Soldatenfigur weg in nördliche Richtung führt, die Gemüter. Aus der Vogelperspektive, die wir hier zeigen können, wird das Dilemma überdeutlich. Neben dem bronzenen Heros der Roten Armee erstrahlt die deutsche Nationalfahne in frisch-farbigem Betonstein.
Fahne contra Fahne
Nanu, fragen sich da viele, was hat das Banner der BRD mit dem Friedhof der Roten Armee zu tun? Die offiziellen Erklärungsversuche berühren peinlich. Von einst pragmatisch versinnbildlichter deutsch-sowjetischer Freundschaft (für die Älteren: DSF) ist da die Rede, von einer Anfang der 1970er Jahre zunehmend selbstbewußt agierenden DDR. Nun gibt das Logo der Massenorganisation DSF tatsächlich zwei Nationalfahnen her, die der UdSSR und die der DDR (für die Jüngeren: das ist die BRD-Fahne mit noch was drin in der Mitte). In Seelow nun liegt jetzt aber einzig und allein das Markenlogo der BRD, keine UdSSR und keine DDR. Selbstbewußtsein hätte wohl anders ausgesehen. Ohne das runde Ding in der Fahne, ist die DDR nicht mehr DDR, sondern BRD. Das ist von 1989/90 her bekannt: schneide das Runde raus und alles wird anders.
Bundesdeutsch-Sowjetische Freundschaft
Müsste, dem frei (oder, der Perspektive angemessen, vielleicht besser vogelfrei?!) unterstellten Freundschaftsgedanken zufolge, nicht konsequenterweise das rote Sowjetbanner ebenfalls den Ort zieren? An der dafür passenden Stelle findet sich aber nur Bewuchs mit typisch-traurigem Friedhofsgewächs, das dort schon Äonen zu wuchern scheint. Von einer gestalterischen Zwei-Staaten, ähem, Zwei-Fahnen-Lösung gibt es keine Spur. Es fragt sich auch, warum die SED-Kreisleitung Seelow und die mächtigere SED-Bezirksleitung Frankfurt/Oder ausgerechnet eine West-Ost Liaison an diesem Ort zelebriert haben sollen, bei der die DDR schlicht abgeschafft ist. Das nun könnte ein weites Forschungsfeld nicht nur für die Geschichtskurse der lokalen Schulen werden. Es wäre freilich nach Ansicht so mancher höchst honorabel, hätten die Schöpfer des Gedenkkomplexes damit die deutsche Einheit vorwegnehmen oder zumindest den Gedanken daran wach halten wollen. Aber ist genau das auch wahrscheinlich? Dieser Akt wäre ja schier prä-revolutionär, die super friedliche, weil völlig unbemerkte, Revolution vor der friedlichen. Apropos, wird nicht gerade in Einheitsdenkmal gesucht? Hier wäre eins im Angebot!
Fragwürdige Zeichensetzung
So viel wir auch an dieser Stelle fragen: die frostharte Beton-Fliese verweigert die Auskunft.
Doof auch, dass die Pigmentierung ausgerechnet und allein dieses abseitigen Pfades von der jahrzehntelangen Sonneneinstrahlung ratzekahl hinfortgelasert worden ist. Andernorts auf dem Gedenk-Gelände schimmert der schwarz-rot-gelbe Dreiklang durch die Panade aus Dreck, Flechten und Moosen, stets schachbrettartig angeordnet. Dieses Muster ist die zeitgenössische nationale Dreingabe, gewissermaßen die Botschaft des „besseren Deutschland“ im Bunde mit der großen Sowjetunion. Sollte dieses Deutungsmuster damals allein neben dem Denkmal tatsächlich anders montiert worden sein, drei Farbbänder, die prompt das Banner des „Klassenfeindes“ ergeben, ohne Hammer-Zirkel-Ährenkranz (für die Jüngeren: das runde DDR-Dings auf der BRD-Fahne)? Zumindest für die Piloten des nahe gelegenen Jagd- und des Transportfliegergeschwaders (immerhin die Regierungsstaffel!) wäre dieser Fauxpas aus luftiger Höhe stets bestens zu sehen gewesen, so wie für die heutige Drohne. Sollten all diese Piloten so wenig „klassenbewußt“ gewesen sein, dass sie auf diesen Fehlgriff nicht hinwiesen? Zur Erinnerung: Wer es als Jugendlicher in der DDR zu einem West-Parka, in diesem Fall ein Kammerstück der Bundeswehr, gebracht hatte, war sicher, kaum zweihundert Meter in der Öffentlichkeit gehen zu können, ohne von einem mehr oder weniger charmanten Volkspolizisten auf das westliche Hoheitszeichen am Oberärmel angesprochen zu werden; meist mit dem mehr oder weniger dezenten Hinweis, selbiges umgehend zu entfernen. Die Größe dieses corpus delicti beträgt ca. 4 mal 6 Zentimeter. Wer damit ostentativ herumlief, der hatte nicht wirklich Angst vor garantiertem Ärger im SED-Staat, der recht eifersüchtig und manisch auf die Reinhaltung seiner Insignien achtete. Will heißen, die DDR konnte real keine 4 mal 6 Zentimeter Stoffläppchen-BRD auf ihrem Staatsgebiet ertragen.
„So dumm war doch keiner!“
War die DDR nicht fast ebenso erpicht darauf, alles mit ihrem Logo zu labeln, wie weiland Henry Ford, der jeden Schraubenkopf an seinem Automobilen mit seinem Initial versehen ließ? Ließ sich denn damals so ein DDR-Wappen partout nicht in bzw. auf so eine Fläche betonieren oder applizieren? Schwer zu glauben, wo doch auch die Fliesen nicht von der Stange waren, sondern liebevoll per Hand gefärbt und geformt wurden, wie Zeitzeugen aus der volkseigenen Baubranche nun gegenüber wissbegierigen Journalisten den diffizilen Casus erläutern. Talente waren also vorhanden, alte wie junge. Und für Vorzeigeprojekte wie dieses gab es auch das eine oder andere Materialkontingent. Kurzum: eine Deutschlandfahne war und ist eine BRD-Fahne. Als Accessoire auf einem sowjetischen Denkmal in Obhut deutscher Kommunisten ist es schlicht nicht vorstellbar. „So dumm war doch keiner!“, hörten wir heutzutage schon mehrfach zu diesem Fall. Wenn doch, müsste der Geschichte des politischen Widerstands in der DDR eine neue, schillernde Facette hinzugefügt werden.
Wahrscheinlicher sind dagegen heutige Gedankenlosigkeit oder ein schlechter Scherz, den sich hier jemand erlaubt haben mag. Nun denn, Humor ist wohl eher kein Merkmal der deutschen Bauwirtschaft.
Gretchenfrage: wie sah das aus?
Die Quellenlage in puncto Farbkunde ist leider dürftig. Und die Skandal affinen Medien bieten wenig Aufklärendes, vor allem nicht als aussagekräftiges Foto. So wabert die Vergangenheit von Brandenburgs nunmehr bekanntestem Betonweg im Mystisch-Unbekannten. Was war da nun vor dem Eingriff der glücklosen Brachialrestaurierer? Uns liegt ein Foto von 2015 vor. Hier ist der betagte Weg stark ergraut zu sehen; Farbbänder oder -streifen sind gerade noch zu erahnen. Laut aktueller Verkündung hätte dem Denkmalschutz Grau völlig gereicht. Das passt freilich gut zum Damals und zum Heute dieses Ortes. Aber ist es auch vorbildgetreu? Wir können hier eine Antwort anbieten, vor der andere hoffnungslos zu kapitulieren scheinen. Eine bisschen Mühe am PC frischt die blassen Zierfarben des Betons auf wie Mutters Spezialwaschmittel den Lieblingspulli. Das Ergebnis ist unten zu sehen: eine Reihe schwarzer Steine umrahmt zwei Reihen roter Steine. Diese Variante sei hiermit mal ganz locker in den Ring geworfen.
Einen farbenfrohen Frühling wünscht Histograf.de!
Text: Tobias Voigt, Luftbilder: Enrico Holland, Bild: Gedenkstätte Seelower Höhen
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