Vor und hinter der Kamera

 

Zeitreise Seelower Höhen e.V. betreut Kasachisches TV-Team

Am Samstag, dem 06. Mai 2017 ist das Kasachische Fernsehen in der Gedenkstätte Seelower Höhen und auf Bitten des Pressesprechers vom Landkreis MOL kümmert sich unser Verein um die Journalisten. Kasachstan und Seelow; wie geht das zusammen? Der neuntgrößte Staat der Erde ist sehr, sehr weit weg von uns. Wer von Seelow mit dem Auto zur kasachischen Hauptstadt Astana fährt, ist für die 4.500 Kilometer 60 Stunden unterwegs. Angekommen in Zentralasien, findet er sich in einem Land mit 18 Millionen Einwohnern wieder, siebeneinhalb mal größer als Deutschland mit seinen 82 Millionen.

Fernes reiches Land ganz nah

Seit Ende 1991, nach dem Zerfall der Sowjetunion, ist Kasachstan unabhängig. Im Boden schlummert eine der größten Erdölreserven, es gibt viel Erdgas und andere Bodenschätze. Die Geschichte des Landes ist nicht weniger reich – auch an Leid. Der Blick allein auf die jüngere Historie macht das deutlich: Zwangskollektivierung und Unterdrückung der nationalen Identität unter Stalin, Vertreibungen und eine Hungersnot in den 1930er Jahren, die jedem vierten Einwohner des Landes das Leben kostet, neue Heimat für zwangsweise umgesiedelte Wolgadeutsche und Krimtataren in den 1940er Jahren, Atomtestgelände ab den 1950ern – erst über- dann unterirdisch. Doch, auch menschliche Höhenflüge haben ihren Ort in Kasachstan; von Weltraumbahnhof Baikonur starten die sowjetischen Raketen ins All, mit einer davon 1978 der erste Deutsche: Siegmund Jähn, einst Jagdflieger im heutigen Neuhardenberg. Damals heißt der Ort Marxwalde und in dem Moment ist Seelow sehr nah dran an Kasachstan.

 

Nachrichten von Sieg und von Verlust

Und nun ist Kasachstan nah an Seelow, am Vorabend der Feiern zum Tag des Sieges, wie es dort und vielen anderen Ländern der einstigen Sowjetunion heißt. Trotz wohlverdientem Wochenende steht unser Vereinsmitglied André Vogel als ausgewiesener Spezialist Sachbuchautor und hervorragender Kenner der historischen Details der Schlacht um die Seelower Höhen dem TV-Team Rede und Antwort. Was die kasachischen Zuschauer besonders interessiert, ist die Rolle ihrer Landsleute in der großen Schlacht an der Oder. Die Beteiligung von 14 Nationalitäten der Vielvölkerunion neben den Russen am Kampf um die Seelower Höhen ist seit 1945 kaum Teil des vornehmlich sowjet-russisch geprägten Erinnerns. Wer von den 14 hierher kommt und Fragen stellt, der stellt sie auch an sich selbst. Die Völker, die der ungeliebten Union den Rücken gekehrt haben, suchen ihren Platz in der Erzählung über den Großen Vaterländischen Krieg und fragen sich, welche Rolle ihnen darin zugedacht war. Für viele junge Kasachen wird der TV-Beitrag einer unter den vielen sein, die an diesem Tag über die kasachischen Nachrichtenkanäle laufen und seine Macher sind Dienstleister und Profis des Nachrichtenalltags.

Gedenkstätte im News-Format

Daher stößt bei ihnen unser Vorhaben, den Panzer und die mit ihm verbundenen Geschichten als Mittel zur Bildungsarbeit insbesondere mit Jugendlichen zu nutzen, auf großes Interesse. Wie sinnvoll der Stahlkoloss für die Vermittlungsarbeit ist, probieren sie gleich selbst aus. In Vorbereitung der Moderation vom und aus dem T34, ziehen sich die Journalisten fünfzehn Minuten zurück, um eine Art kleines Drehbuch zu schreiben. Darin legen sie fest, zu welcher Aktion welcher Text zu sprechen ist, um nicht beim Drehen wild herumexperimentieren zu müssen. Selbst so ein kurzer Nachrichtenbeitrag folgt einer Dramaturgie, die sich die Journalisten als Ideallinie ausdenken und verwirklichen.
Der Kameramann (in Personalunion Tonmeister, Regisseur und Aufnahmeleiter) filmt die Redakteurin auf dem Seelower T34 aus mehreren Perspektiven. Im fertigen Beitrag ist zu sehen, dass sie aus dem Turmluk des Panzers auftaucht. Damit das klappt, stellen wir der recht kleinen Frau eine entsprechend lange Leiter in die Panzerwanne.
Mit Interviews, Perspektivwechseln und dem Dreh am Panzer haben allein wir schon volle drei Stunden gut zu tun. Im fertigen Beitrag sind diverse andere historische Orte zu sehen, die das TV-Team aufgesucht hat. Das sind mehrere Tage Dreharbeiten, einschließlich Interviews – für letztlich 4 Minuten Sendezeit. Fernsehen zeigt sich wieder als eines der aufwendigsten Medien. Dabei sind 4 Minuten recht lang für einen Nachrichtenbeitrag, der sich oft nur anderthalb Minuten Zeit für sein Thema nimmt. Mit was sonst kann Seelow Aufmerksamkeit in 4.500 Kilometer Entfernung wecken? Vielleicht ist es für unsere Region bedeutsamer, dass sie damit in Kasachstan wahrgenommen wird, als umgekehrt.

Tobias Voigt

der Bericht aus dem kasachischen TV